In der Kommune Esenler, direkt vor den Toren Istanbuls, brummt das Leben. Mittendrin: eine Gruppe syrischer Frauen, die sich fröhlich unterhalten, während sie zielstrebig das Büro der Organisation Human Resource Development Foundation (HRDF) ansteuern. Hier wollen sie gemeinsam einen Türkischkurs besuchen. Eine von ihnen ist Shaza. Vor der Flucht aus Syrien hat sie viele Jahre als Lehrerin gearbeitet. Hier in der Türkei ist sie Hausfrau, heimgesucht von den Erinnerungen an den Krieg. Von Freund*innen hört Shaza vom Angebot der HRDF für Geflüchtete: Türkischkurse, Informationsangebote, Vernetzungstreffen mit anderen Frauen. „Durch HRDF habe ich die Kontrolle über mein Leben wiedererlangt. Sie haben mir mein Selbstvertrauen und meine Stärke zurückgegeben und ich kann jetzt anderen Frauen helfen, die in derselben Situation sind wie ich damals“, erzählt Shaza.
Stärken bündeln, Perspektiven schaffen
Schnell und direkt helfen und gleichzeitig langfristig eine friedvolle Zukunft sichern: Daran arbeitet die GIZ unter anderem in der Türkei, in Südsudan und im Irak.
Über 4.000
Menschen haben sich für einen Türkischkurs angemeldet.
Die Human Resource Development Foundation ist eine von 18 lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs), mit denen die GIZ in der Türkei zusammenarbeitet, um Flüchtlinge und vulnerable Bewohner*innen aus aufnehmenden Gemeinden im Land zu unterstützen. Das Projekt ist ein Beispiel dafür, wie die GIZ den sogenannten HDP-Nexus umsetzt. HDP steht für Humanitarian-Development-Peace (deutsch: Humanitäre Hilfe-Entwicklung-Frieden). Ziel des Nexus ist eine stärkere Verknüpfung von humanitärer Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Friedensförderung in Krisen. In der Türkei denkt die GIZ alle drei Ansätze von Anfang an zusammen.
Die Arbeit der GIZ baut in der Türkei im Sinne des Nexus auf verschiedenen Säulen auf. Zur Entwicklungsarbeit gehören zum Beispiel die Fortbildungen von und für Partnerorganisationen sowie die Organisation von Austauschformaten und Netzwerktreffen für die unterschiedlichen NGOs wie HRDF. Die Organisationen beraten Geflüchtete sowie vulnerable Bewohner*innen der aufnehmenden Gemeinden zu Sozialleistungen oder Jobperspektiven. Sie unterstützen sie außerdem dabei, passende Kurse zu finden, die ihnen neue oder verbesserte Lebensperspektiven ermöglichen – beispielsweise Sprach-, Handwerks- oder Nähkurse.
Community-Based Local Initiatives Project (CLIP 2)
Auftraggeber | Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) | |
Kofinanziert durch | European Civil Protection and Humanitarian Aid Operations (ECHO) |
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Ort | Türkei | |
Laufzeit | 2021–2026 |
»Die drei Dimensionen des HDP-Nexus bedingen und verstärken sich gegenseitig.«
Johanna Sztucki, Expertin für den HDP-Nexus in der GIZ© GIZ
H für Humanitarian
Als am 6. Februar 2023 zwei heftige Erdbeben den Südosten der Türkei und den Norden Syriens erschüttern, sind auch viele Regionen betroffen, in denen die GIZ und ihre Partner bereits seit 2021 mit Geflüchteten wie Shaza zusammenarbeiten. Das Erdbeben bedeutet eine weitere Katastrophe für die vielen kriegs- und fluchttraumatisierten Menschen, die die GIZ und ihre Partner regelmäßig betreuen. Schnelle humanitäre Hilfe ist gefragt. Die finanzielle und psychologische Unterstützung und die Sozialkontakte, die die Menschen über die NGOs erleben, geben ihnen neuen Lebensmut und eröffnen Perspektiven – so, wie es auch Shaza aus Syrien erlebt hat.
Das berichtet auch Tolga Baca. Er ist der Programmdirektor der NGO International Blue Crescent (IBC), die ebenfalls mit der GIZ in der Türkei zusammenarbeitet. Im Community Centre von IBC finden Hunderte Menschen eine Notunterkunft, Helfer*innen verteilen Essen und Hygieneprodukte. „Nach dem Erdbeben haben wir eine Frau betreut, deren Sohn bei der Katastrophe ums Leben gekommen war. Sie hatte jeglichen Lebensmut verloren. Die Gespräche im Rahmen unserer psychologischen Beratung haben ihr dabei geholfen, nach vorne zu schauen. Anschließend hat sie ein Café eröffnet, benannt nach ihrem Sohn. Das hat ihr ein Einkommen und Hoffnung gegeben.“
Über 55.000
Menschen haben psychosoziale Unterstützungsangebote sowie soziale und rechtliche Beratungsleistungen in Anspruch genommen.
Rund 30.000
Menschen haben von der Erdbeben-Soforthilfe profitiert.
IBC arbeitet nicht nur direkt mit den Geflüchteten zusammen, sondern agiert auch als Mentor für andere Hilfsorganisationen, die Teil des Partnernetzwerks sind. „Uns ist wichtig, die Kapazitäten der Partnerorganisationen zu stärken“, erklärt Christiane Danne, Projektleiterin bei der GIZ. „Natürlich unterstützen wir die Partner mit unserem Wissen, aber wir sorgen vor allem dafür, dass sie sich untereinander in Netzwerken austauschen und voneinander lernen. So verbinden wir langfristige Entwicklungsansätze mit direkter humanitärer Hilfe.“
»Das gemeinsame Projekt ist ein Vorzeigeprojekt«
Christophe Gadrey arbeitet als technischer Assistent bei der Generaldirektion Katastrophenschutz und humanitäre Hilfe (GD ECHO) der Europäischen Kommission in Ankara. Im Interview erklärt er, warum die GD ECHO das Projekt CLIP 2 unterstützt, und teilt seinen Blick auf die Zusammenarbeit mit der GIZ.
GD ECHO arbeitet seit 2018 mit der GIZ in der Türkei zusammen. Wie kam es dazu?
Die GIZ hat in der Türkei gute Kontakte in das zivilgesellschaftliche Netzwerk und arbeitet hier schon lange mit unterschiedlichsten Nichtregierungsorganisationen (NRO) zusammen. Es gibt also viel Wissen dazu, wie man diese Organisationen erreichen und unterstützen kann. Hinzu kommen die starken institutionellen Verbindungen der GIZ zu den türkischen Fachministerien und lokalen Behörden. Das waren die zwei wichtigsten Faktoren, warum GD ECHO sich dafür entschieden hat, mit der GIZ zusammenzuarbeiten. Unsere Partnerschaft ergänzte andere Maßnahmen in der Türkei, die von UN-Organisationen, internationalen NRO und der Rotkreuzbewegung durchgeführt wurden.
Warum ist es so wichtig, die Nichtregierungsorganisationen vor Ort mit diesem Projekt zu stärken?
Für die GD ECHO sind lokale NRO von entscheidender Bedeutung, um Geflüchtete in der Türkei angemessen zu unterstützen. Sie erreichen die Verletzlichsten unter den Geflüchteten. Deswegen fördern wir den Austausch und die Zusammenarbeit lokaler NRO untereinander und stärken ihre organisatorischen und operativen Kapazitäten. Durch dieses Konzept der Lokalisierung können wir wirksamer an der Schnittstelle von Frieden, Entwicklung und Sicherheit arbeiten und die Qualität der erbrachten Dienstleistungen erhöhen. Das gemeinsame Projekt mit der GIZ ist ein Vorzeigeprojekt und birgt das Potenzial, den Lokalisierungsansatz auf andere Kontexte zu übertragen.
Was ist der Mehrwert dieser Partnerschaft zwischen der GD ECHO und der GIZ? Was schätzen Sie persönlich?
Ich persönlich schätze die Qualität des Austauschs mit den GIZ-Mitarbeitenden vor Ort zu Schlüsselthemen wie Nachhaltigkeit, dem HDP-Nexus oder wie wir lokale Helfer*innen noch besser fördern können. Diese Themen sind in der DNA der GIZ als Entwicklungsorganisation verankert und ich empfinde unsere Gespräche als echte Bereicherung. Im Gegenzug bringt die GD ECHO eine ausgeprägte Kultur der Nothilfe mit. Flexibilität und Reaktionsfähigkeit sind dafür besonders wichtig – und diese erwarten wir auch von unseren Partnern. Ich glaube, dass so beide Organisationen – GIZ und GD ECHO – voneinander lernen und von diesem Austausch profitieren können. Ich bin sehr stolz darauf, auf meiner Ebene zu dieser Zusammenarbeit beizutragen.
D für Development
An der Schnittstelle zwischen humanitärer Hilfe, Entwicklung und Friedensförderung arbeitet die GIZ auch in Südsudan. Ziel ist es, die Ernährungssicherheit von Farmer*innen zu verbessern, denn in Südsudan sind zwei Drittel der Menschen mangelernährt. Dabei ist das Land in Ostafrika eigentlich sehr fruchtbar und könnte sich selbst versorgen. Doch wegen der Gewaltausbrüche 2013 und 2016 verließen viele Menschen ihre Heimat und die landwirtschaftlichen Kleinbetriebe lagen brach. Obwohl viele nach und nach zurückkehren, mangelt es an Ausrüstung, Wissen und Möglichkeiten, Produkte zu verkaufen.
Hier setzt die GIZ auf mehreren Ebenen an und schult Farmer*innen in Anbaumethoden und zum Thema Ernährung: „In den Trainings konnten die Farmer*innen zum Beispiel lernen, wie sie ihre Einnahmen und Ausgaben richtig berechnen und wie sie einen Gewinn mit ihren Produkten erzielen können“, erzählt Projektkoordinator Peter Lo-severio. Über 4.700 Kleinbäuerinnen und -bauern haben diese Schulungen besucht. Die GIZ und ihre Partner stellten ihnen außerdem qualitätsvolles Saatgut zur Verfügung. Das ist in Südsudan nämlich nicht leicht zu bekommen. „Das Ziel ist, dass die Farmer*innen höhere Erträge auf ihren Feldern erreichen, um sich und ihre Familien zu ernähren und ein Einkommen zu generieren“, erklärt Lo-severio.
Food and nutrition security and natural resource management (FONA)
Auftraggeber | Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) | |
Ort | Südsudan (Bundesstaaten Western Equatoria und Northern Bahr el Ghazal) | |
Laufzeit | 2021–2025 |
4.298
Haushalte erhielten Saatgut und Betriebsmittel.
»Dank der Anbauprinzipien und Managementfähigkeiten, die ich in den Trainings gelernt habe, kann ich meine Landwirtschaft jetzt als Geschäft betrachten. Ich will auch andere Frauen unterstützen, unabhängig von ihren Männern ihr eigenes Land zu bewirtschaften, so wie ich.«
Janety Simon, Teilnehmerin einer Schulung in Western Equatoria© GIZ / Alison Paida Mborigie
Um möglichst viele Menschen zu erreichen, bildet die GIZ auch Multiplikator*innen aus. Diese tragen ihr neu gewonnenes Wissen zu gesunder Ernährung und Landwirtschaft in ihre Dorfgemeinschaften weiter und erklären dort zum Beispiel, dass es wichtig ist, nicht nur eine Pflanzenart anzubauen, auch wenn diese vielleicht das meiste Geld bringt. Stattdessen ist Vielfalt der Schlüssel – auf dem Feld und auf dem Teller.
»Die GIZ profitiert von unseren Netzwerken und unseren Kenntnissen der lokalen Gegebenheiten. Im Gegenzug lernen wir von ihr viel über Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel, die für den langfristigen Projekterfolg sehr wichtig sind. Auch wenn es manchmal herausfordernd sein kann, in dieser Konstellation zusammenzuarbeiten – unsere Arbeit wird dadurch effektiver und wir erzielen bessere Ergebnisse.«
Daisy Nyaga,© privat
Projektleiterin des durch WFP und UNICEF umgesetzten Projekts
Die Trainings helfen den Menschen in Südsudan nicht nur dabei, ihre Lebenssituation unmittelbar zu verbessern. Eine größere Ernährungssicherheit fördert auch langfristig die Stabilität des Landes und beugt Konflikten vor – ganz im Sinne des HDP-Nexus. Daran arbeitet die GIZ nicht allein. In der gleichen Region versorgen UNICEF und das Welternährungsprogramm (WFP), ebenfalls im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Schulkinder mit Mahlzeiten und Schulen mit Unterrichtsmaterialien zum Thema Ernährung. Außerdem stehen eine bessere Ernährung und Hygiene von Kleinkindern und schwangeren Frauen im Fokus. Die beiden Projekte der GIZ sowie von UNICEF und WFP arbeiten eng zusammen, ihre Wirkungen ergänzen sich gegenseitig. Insbesondere von der Bündelung unterschiedlicher Expertisen profitieren alle. Denn in einem fragilen Land wie Südsudan, in dem die GIZ nicht mit staatlichen Akteuren zusammenarbeitet, sondern auf lokale Umsetzungspartner angewiesen ist, sind die Erfahrung und Unterstützung von WFP und UNICEF eine große Bereicherung und ein stabilisierender Faktor für die Projektarbeit.
P für Peace
Nicht nur in der Türkei und in Südsudan, auch im fragilen Irak arbeitet die GIZ nach dem Ansatz des HDP-Nexus. Vor allem der Klimawandel stellt dort eine große Gefahr dar: Durch ihn können neue Konfliktherde entstehen, etwa um knapper werdendes Wasser. Ein Mitte 2023 neu gestartetes Projekt soll dazu beitragen, den Frieden in der Region zu sichern. Gemeinsam mit der irakischen Regierung und Partnern vor Ort hilft die GIZ unter anderem lokalen Bäuerinnen und Bauern dabei, ihre Anbaumethoden an den Klimawandel anzupassen und sorgfältiger mit dem vorhandenen Wasser umzugehen. Außerdem unterstützt das Projekt die Iraker*innen dabei, sich besser untereinander auszutauschen und gemeinsam Vereinbarungen zur gerechten Wassernutzung zu treffen, um bestehende Konflikte zu lösen und neuen vorzubeugen. So kann Entwicklungszusammenarbeit auch dort zu Stabilität und einem friedlichen Zusammenleben beitragen.
Klima und Sicherheit Nexus – Verbesserung von Frieden und Stabilität durch Anpassung an den Klimawandel und Konfliktprävention
Auftraggeber | Auswärtiges Amt | |
Ort | Irak | |
Laufzeit | 2023–2025 |